(we) Manchmal muss man einfach querdenken: Wie kann es gehen, das Wohnungsproblem in unserem Lande dadurch zu lösen, dass man nicht baut? Daniel Fuhrhop hat sich lange mit diesem Thema beschäftigt und trug im Rahmen der Friedenswochen überraschende Lösungen vor.
Eingeladen hatte zu dem Vortrag die Nürtinger SPD zusammen mit Ortsgruppe Nürtingen und dem Kreisverband des BUND sowie mit dem Forum zukunftsfähiges Nürtingen. Michael Medla wies bei seiner Begrüßung darauf hin, wie wichtig das Thema Wohnen sei: „Wohnungsbau ist die soziale Frage unserer Zeit.“ Lange Zeit habe die Politik dieses Thema verschlafen bzw. falsche Maßnahmen, z.B. durch den Verkauf von Liegenschaften, getroffen. „Wir beginnen langsam zu erkennen und zu handeln“, gab sich der SPD-Stadtrat optimistisch.
Sven Simon vom „Forum zukunftsfähiges Nürtingen“ wies auf den Flächenverbrauch insgesamt und auch speziell in Nürtingen hin; die „Siedlungsflächen pro Einwohner“ seien deutlich gestiegen und damit auch die Wohnfläche pro Einwohner. Das führe zu einer Verknappung und damit zu einer Verteuerung des Bodens. Und er überraschte mit folgender Rechnung: Wenn sich die Einwohner Nürtingens in ihrem Wohnraum etwas beschränken würden, könnten über 3000 Einwohner mehr auf der Siedlungsfläche der Hölderlinstadt untergebracht werden.
Daniel Fuhrhop, der sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen der Wohnungsnot beschäftigt hat, knüpfte nahtlos an diesen Bericht an. Er ärgert sich darüber, dass ständig neue Baugebiete ausgewiesen werden, die zur Versiegelung der Landschaft, zu mehr Feinstaub und zu immer weniger Ackerfläche führten. Die Folge sei einerseits, dass die Menschen stärker exportabhängig würden, so dass nur noch ca. ein Drittel der Bewohner von der eigenen Landwirtschaft ernährt werden könnten. Andererseits gefährdeten neue Baugebiete den sozialen Frieden, weil sich überall Bürgerinitiativen gegen diese Baugebiete bildeten. Und er malte eine gefährliche Spirale an die Wand: Bauen führe (durch den Energieverbrauch) zur Klimaverschlechterung, d.h. auch zu Dürren in vielen Gebieten, die wiederum eine der Fluchtursachen nach Europa bildeten. Also müsse weiter gebaut werden usw. usw. Daher ist für Fuhrhop klar: Die 15 Milliarden, mit denen die Bundesregierung für den Bau neuer Wohngebiete fördern will, gehen in die falsche Richtung.
Aus alldem schließt er: Der vielfach vorhandene Leerstand müsste genützt und Menschen müssten wieder dorthin ziehen, wo es Platz und Raum gebe. Er berichtete von Konstanz, wo ein vom Land Baden-Württemberg unterstütztes und mit pfiffigen Ideen publiziertes „Raumteiler-Programm“ dazu geführt habe, dass innerhalb von zwei Jahren 115 Privatunterkünfte gefunden und belegt werden konnten.
Eine andere Möglichkeit sind für ihn sogenannte „Rückhol-Aktionen“. Drei Modellstädte gibt es dazu, die unter dem Motto „Mach Mutti glücklich – komm zurück!“ Existenzgründer, Flüchtlinge, Künstler, Rückkehrer oder Touristen angelockt haben, sich wieder in teilweise verlassenen Städten niederzulassen. In diesem Zusammenhang nannte er auch Nürtingens Partnerstadt Zerbst. In Görlitz zum Beispiel seien die Kommunalpolitiker auf die Idee gekommen, ein vierwöchiges „Probewohnen“ anzubieten mit dem Ziel, dass der eine oder andere daraufhin beschließt, ganz nach Görlitz zu ziehen.
Für Fuhrhop hat das Thema Wohnen auch viel mit dem inneren Frieden zu tun. Ungerechte Verteilung, Leerstände, Neubaugebiete, steigende Mieten, Zweit- oder gar Drittwohnungen: all das führe zu Stress, Streit und Unfrieden zwischen Bevölkerungsgruppen. Daher plädierte er fürs Zusammenrücken, für flexible Wohnbauformen, die jeweils auf den spezifischen Bedarf zugeschnitten, d.h. auch verkleinert werden könnten. Das wäre ein „Beitrag für den Frieden in der Stadt“. Und er fügte hinzu: „Ich habe den Wunsch, dass auch Sie in Nürtingen zusammenrücken.“
In der lebhaften Diskussion wurden kritische Fragen gestellt, die manche von Fuhrhops Thesen in den Bereich des zwar Wünschenswerten, aber doch Utopischen rückten. Lob bekam die Nürtinger SPD von einem Zuhörer, der es beachtlich fand, dass der Ortsverein einen Fachmann eingeladen, der sich in seinen Büchern deutlich gegen neue Baugebiete ausgesprochen hatte – entgegen der bisherigen Parteilinie.