Haushaltsrede 19. Oktober 2021
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Bürkner,
meine Damen und Herren,
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Michail Gorbatschow (ehemaliger Staatspräsident der Sowjetunion)
Durch die Corona-Krise wurden die sozial und wirtschaftlich bedeutenden Fragen, die sich uns zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen, teils überlagert oder teils stärker in den Fokus gerückt. Aber sie sind noch unverändert da!
- Wie kann es uns gelingen, die Arbeit und den Wohlstand von morgen zu sichern?
- Wie können wir dafür sorgen, dass möglichst alle eine Arbeitsstelle haben, die ihnen ein Leben in Würde ermöglicht?
- Wie überwinden wir die wachsende Ungleichheit?
- Können wir es hinnehmen, dass wenige sich die höchsten Einkommen sichern, aber die Lasten und Risiken auf den Schultern aller verteilt werden?
- Wie schützen wir die Rechte all derer, die sich nicht wehren können?
- Wie können wir unser Leben und Wirtschaften so verändern, dass wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten?
- Wie sorgen wir für gleiche Teilhabe und mehr Zusammenhalt?
- Können wir die Gestaltung des digitalen Wandels als demokratische Gesellschaft selbst in die Hand nehmen, statt sie den großen multinationalen Konzernen zu überlassen?
Für viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen brachte und bringt die Corona-Krise harte Einschränkungen mit sich. Dadurch, dass jeder einzelne seinen Teil beiträgt und auch Einschnitte in die persönliche Freiheit akzeptiert, um sich und andere zu schützen, sind wir einigermaßen gut durch die Krise gekommen.
Gegenseitiger Respekt, Wertschätzung und Zusammenhalt prägen an vielen Stellen unsere Gesellschaft. Doch zugleich müssen diese Werte täglich verteidigt, neu errungen und auf allen Ebenen gelebt werden. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die durch ihre Arbeit und ihr Engagement maßgeblich dazu beigetragen haben!
Um eine Krise zu überwinden, braucht es gemeinsame Anstrengungen. Daraus kann neuer Mut wachsen, mit dem wir die großen Aufgaben unserer Zeit zuversichtlich angehen können. Auch wir hier in Nürtingen. Wir brauchen dazu jeden Einzelnen mit seinen Fähigkeiten. Um dies zu schaffen, sollten wir die Bürgerinnen und Bürger verstärkt beteiligen.
Aus unserer Sicht als SPD sind die neuen Schwerpunkte, die unsere Stadtgesellschaft prägen, auch die alten. Sie sind ja noch lange nicht abgearbeitet:
Bildung – Wohnen – Klimaschutz und Nachhaltigkeit – Mobilität – Stärkung des sozialen Zusammenhalts.
Haushaltssituation 2021/2022
Wichtig ist für uns als SPD, dass all diese Themen strategisch angegangen werden müssen. Was verstehen wird darunter?
Die Haushaltsklausur dieses Jahres war für uns nur der 1. Schritt. Es darf nicht nur eine Auflistung der Projekte geben. Im nächsten Schritt steht die Priorisierung anhand von verschiedenen Kriterien und den möglichen Folgen. Was davon ist wie sozial, ökologisch, wirtschaftlich oder dringlich?
Strategisches und daraus folgend kontinuierliches konzeptionelles Arbeiten müssen unter haushaltpolitischen Gesichtspunkten Hand in Hand gehen.
Unser Ziel sollte es sein, einen Konsens zwischen Gemeinderat und Stadtverwaltung zu finden, der die Grundlage für die Investitionsentscheidungen für die nächsten Jahre bildet.
Oberbürgermeister Fridrich hat hervorgehoben, dass die „Haushaltskatastrophe“ 2021 glücklicherweise ausgeblieben ist. Unser Ergebnishaushalt 2020 weist zwar ein Defizit auf. Dieses ist jedoch geringer geblieben als erwartet.
Die Pro Kopf Verschuldung Nürtingens beträgt 148 Euro pro EinwohnerIn. Das ist – im Vergleich zu anderen Kommunen – erfreulich niedrig. Es weist gleichzeitig daraufhin, dass wir seit Jahren keine Kredite genommen haben, sondern auch getilgt haben. Aber warum wohl?
Wir haben zwar Projekte geplant, aber nur sehr zögerlich oder gar nicht realisiert. Wer so arbeitet, braucht keine Kredite. Stattdessen haben wir einen Investitionsstau aufgebaut.
Sich mit einem neuen Haushaltsplan zu beschäftigen bedeutet auch immer Bilanz zu ziehen: Was haben wir als Fraktion mit den von uns gestellten Anträgen tatsächlich erreicht? Was ist noch nicht abgeschlossen?
Die Corona-Pandemie hat uns wohl bei einigen Projekten behindert. Sie hat uns aber nicht daran gehindert, diese zumindest anzugehen oder gar umzusetzen. So können wir als SPD hinter einigen unserer Anträge einen Haken machen:
- Die Mobilitätszentrale im Nürtinger Bahnhof ist an den Start gegangen.
- das Stadtticket in Nürtingen und die Entwicklung der Stadt zur Fairtrade Town
- Die Idee des Tiny Houses -Wohnfeld wurde konzeptionell aufgegriffen
- die Toilette für Alle ist in Planung.
- Beim Thema Kinderarmut wird in Arbeitsgruppen weiter gearbeitet. Wir gehen davon aus, dass 2022 dann die Handlungsmaßnahmen vorliegen.
- Die Weiterentwicklung des Mobilitätskonzepts ist beschlossen. Dabei soll auch der Radverkehr Teil des Mobilitätskonzepts sein. Und nicht zu vergessen die Ausweisung eines gesonderten Budgets für den Radverkehr.
- die Stelle der Klimaschutzmanagerin ist gesichert
- die Standards für nachhaltiges Bauen sind verabschiedet.
- der beschlossenen Sozialquote haben wir schweren Herzens zugestimmt, auch wenn sie nur teilweise unserer Zielsetzung entspricht.
Einige unsere Anträge zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind leider nur teilweise oder nicht angegangen worden:
- die Einrichtung eines Sozialfonds
- die Quartiersentwicklung
- die Familiencard, die die Grundlage auch für die Festlegung der Kita-Gebühren und weiterer Vergünstigungen sein kann.
Bildung und Kinderbetreuung
müssen bei Investitionen „Vorfahrt“ haben! Damit Schüler*innen gut lernen können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb müssen die Schulen nacheinander saniert werden. Trotzdem sollten wir nicht die Option für eine Gemeinschaftsschule in NT oder das Bildungszentrum Schlossberg vergessen.
Bei der Umsetzung des Medienentwicklungsplan könnten wir neue Wege gehen. So könnte die Stadt Nürtingen als Mittelzentrum die Koordination für die anderen Kommunen übernehmen.
Unser Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen ist noch lange nicht gedeckt. Wir müssen neue Kitas bauen um die notwendige Anzahl von Kinderbetreuungsplätzen zu haben. Dazu zählen die Kita in der Rümelinstraße, im Rieth und in Neckarhausen.
Wir sollten weiter daran arbeiten, dem Mangel an ErzieherInnen entgegen zu wirken. Gerade bei diesen Investitionen darf nicht gespart werden: es sind Investitionen in die Zukunft!
Nur so kann den Familien, insbesondere den Müttern, die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, eher ermöglicht werden. Schließlich soll Nürtingen eine attraktive Stadt für die Familien sein.
Wohnen
muss als Menschenrecht verstanden werden.
Die Schaffung von sozialem Wohnraum ist unsere Pflichtaufgabe als Kommune. Besonders für die Familien, Alleinerziehende oder andere Menschen mit geringen Einkommen muss Wohnraum in unserer Stadt vorhanden sein.
Hier geht es nicht um Ideologien, sondern um menschliche Grundrechte!
Nur so können auch die Bürger mit niedrigem Einkommen zuversichtlich in die Zukunft sehen. Gerade die Brandkatastrophe in der Schafstraße hat gezeigt, dass wir dieses Thema nicht dem freien Markt überlassen dürfen.
Und wenn wir schon Grundstücke an Dritte verkaufen und bebauen lassen, so muss dies natürlich unter Berücksichtigung der Ziele der Stadt geschehen. Eine angemessene Sozialquote ist ein wirkungsvolles und unerlässliches Instrument, um der Wohnungsnot zu begegnen. Aus unserer Sicht wäre das auch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Hier sollten wir – wie ja auch vereinbart – die Weichen entsprechend stellen: aber nicht zu spät, sondern bis zum nächsten Haushaltsplan!
Wir fordern, dass die Erlöse durch den Verkauf von Grundstücken wiederum in den Wohnungsbau fließen.
Klimaschutz
Vor den Auswirkungen des Klimawandelns dürfen wir nicht die Augen
verschließen. Auch hier in Nürtingen müssen wir alles tun, was möglich ist.
Wir haben dazu schon einige Anträge gestellt und werden diese wiederholen: Einrichtung eines Zuschusstopfes für eigene und fremde Klimaschutz-maßnahmen sowie ein Budget für unsere Klimamanagerin um Klimaprojekte begleiten zu können.
Als weitere, konkrete Schritte sollten wir das 1.000 Bäume-Programm für Nürtingen schneller vorantreiben und die Voraussetzungen für Solar- und Photovoltaik-Anlagen in der Altstadt schaffen.
Grundsätzlich unterstützen wir die Maßnahmen für den Hochwasserschutz. Auch sollten alternative Maßnahmen vor Ort dabei berücksichtigt werden.
Wirtschaftspolitik:
Der Begriff Gemeinwohl–Ökonomie beschreibt ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht zuerst die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle.
Sie setzt die Menschenwürde, die Menschenrechte und die ökologische Verantwortung als Gemeinwohlwerte auch in der Wirtschaft um.
Ein wirksames Instrument um auf diesem Weg weiter zu kommen ist die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz. Wir setzen uns dafür ein, diesen Ansatz als Kommune zu fördern. Konkret beantragen wir, Gespräche mit den Stadtwerken zu führen um die Möglichkeiten und den Nutzen der Erstellung einer Gemeinwohlbilanz zu eruieren.
Wenn wir die Vielfalt und Vielzahl der aufgezeigten Schwerpunktthemen betrachten und der Herausforderungen die sich daraus ergeben, dann können wir diese nur meistern, wenn wir die Nürtinger Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Dies muss aber zeitig, auf Augenhöhe und respektvoll geschehen. Es garantiert letztlich auch den Zusammenhalt in unserer Stadtgesellschaft.
Wir wünschen uns bei den anstehenden Haushaltsberatungen, dass wir offen und kreativ mit neuen Ideen umgehen, sie ausführlich diskutieren, danach aber auch konsequent umsetzen. Kurz: Dass wir unsere Chancen und Möglichkeiten nutzen. Damit wir nicht zu spät kommen und die Zukunft unsrer Kinder und Enkelkinder verspielen. Denn das Leben ist hart. Und es bestraft die Zögerlichen!
Abschließend: Wir von der SPD-Fraktion bedanken uns für die gute Zusammenarbeit innerhalb des Gemeinderats sowie für die gute Zusammenarbeit von Gemeinderat und den Mitarbeitern und den Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung.