In den nächsten Jahren gilt es die Zukunft Nürtingens zu Gestalten. Die Schulsanierung durchzuführen, gute Kinderbetreuung zu gewährleisten, die sozial-ökologische Wende auch in unserer Stadt anzugehen, Mobilität zu gewährleisten und zu verändern, Wohnen erschwinglich zu machen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Nürtingen zu stärken. Mit Nachdruck fordert dies die Fraktionsvorsitzende Bärbel Kehl-Maurer in ihrer Haushaltsrede, hier im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Fridrich, meine Damen und Herren!
„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
Was heißt das für uns als Stadtgesellschaft in Nürtingen? Was werden wir tun – als Gemeinderat, als Stadtverwaltung, als Bürgerinnen und Bürger? Bauen wir Mauern oder nutzen wir die Kraft der Veränderung? Gestalten wir oder gehen wir in Deckung?
Für was steht denn unsere Stadtgesellschaft: Sie steht für Vielfalt und Zusammen-halt, für Toleranz und Kompromisse, für Innovation und zugleich Nachhaltigkeit.
Besonders in Zeiten der Veränderung, der großen gesellschaftlichen, wirtschaft-lichen und industriellen Umbrüche, die wir gerade erleben, haben die Menschen ein Bedürfnis nach Übersichtlichkeit, nach Nachbarschaft, nach Zusammenhalt.
Sie brauchen und suchen einen Anker, einen Fixpunkt in all diesen Veränderungen. Dies kann unsere Stadtgesellschaft in Nürtingen sein.
Und somit haben wir alle die Aufgabe „Stadt“ neu zu denken und damit die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Wie sagte schon Frank-Walter Steinmeier, unser Bundespräsident: „Politik in der Stadt ist immer Gesellschaftspolitik! Und Gesellschaftspolitik gelingt nur, wenn alle Seiten vom Podest der moralischen Überlegenheit herabsteigen. Sie gelingt nur, wenn wir Zielkonflikte erstens anerkennen und zweitens zu überbrücken versuchen: zum Beispiel zwischen Klimaschutz und bezahlbarer und sozial gerechter Mobilität;… Und vor allem: Gesellschaftspolitik gelingt nur, wenn das Wörtchen „Kompromiss“ nicht zum Schimpfwort wird!“
Lassen Sie uns also gemeinsam unsere Ziele definieren und dafür nach guten und tragfähigen Lösungen suchen – aber dabei auch keinesfalls Kompromisse meiden.
Wie sieht die Haushaltssituation der Stadt Nürtingen 2020 aus?
Herr Oberbürgermeister Fridrich hat im Dezember 2019 bei der Haushaltseinbringung darauf hingewiesen, dass die fetten sieben Jahre vorbei sind, wir kaum Rücklagen haben, trotzdem aber notwendige Schulsanierungen und weitere Kinderbetreuungsplätze finanzieren müssen, nur um zwei Punkte zu nennen.
Frau Schön hat in ihrer Rede darauf hingewiesen, dass für das Jahr 2020 mit einem negativen Ergebnishaushalt in Höhe von 5,1 Millionen zu rechnen ist.
Erfreulich ist, dass die Stadt 2019 auch wieder – wie so viele Jahre zuvor – ohne Kreditaufnahmen ausgekommen ist. Warum? Finanzmittel in Höhe von ca. 18 Millionen konnten von 2018 auf 2019 übertragen werden, weil schon vor Jahren beschlossene und finanzierte Projekte nicht umgesetzt oder abgeschlossen wurden. So konnte der geplante Wohnungsbau durch die GWN nicht realisiert werden. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass der Kreistag eine niedere Kreisumlage auf Antrag u. a. der SPD-reistagsfraktion beschlossen hat. Somit stehen Nürtingen zusätzliche 500.000 Euro zur Verfügung.
Der Verweis auf fehlende personelle Ressourcen mag im Übrigen ein nachvollziehbarer Grund für fehlende diesbezügliche Aktivitäten gewesen sein – auch wenn es leider in den vergangenen Jahren fast zur Gewohnheit wurde. Aber ist das den Nürtinger Bürgerinnen und Bürgern damit wirklich vermittelbar? Und welches Bild gibt damit die Stadtverwaltung und der Gemeinderat ab?
Ja, die Personalaufwendungen steigen von 34, 5 Millionen auf 37,3 also um 2,8 Millionen Euro. Ein großer Teil dieser Mehraufwendungen entfallen aber auf Pflichtaufgaben der Stadt wie die Kitas, Schulsozialarbeit, Schulkindbetreuung und Mittagessensversorgung. Damit wird sichergestellt, dass die Familien die Angebote haben, die sie brauchen um Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen und so die nächste Generation einen guten Start hat. Eine Stadtgesellschaft lässt sich nun
mal nicht zum Null-Tarif gestalten.
Seit Jahren prangern wir als SPD den Sanierungs- und somit Investitionsstau an: Die Schulen und Kitas der Schulstadt Nürtingen sind seit Langem sanierungsbedürftig. Sie sind endlich so auszustatten, dass in den nächsten Jahren Lernen und Lehren gemäß dem Bildungsplan stattfinden kann.
Leider ist dies nur durch die Aufnahme von Darlehen möglich. Die damit drohende Verschuldung macht uns nicht glücklich. Schulden und die daraus erwachsenden Zinszahlungen sowie Tilgungen schränken den finanziellen Spielraum der Stadt in den nächsten Jahren zwangsläufig ein. Aber gibt es denn einen anderen Weg, den hohen Investitionsstau zu beseitigen? Wir sehen leider keine andere Möglichkeit.
Für uns als SPD bedeutet das aber, dass wir eine Prioritäten- und Maßnahmenliste brauchen, eine solide Kostenaufstellung ohne große Überraschungen, damit wir trotz unser schwierigen Finanzsituation die konkret geplanten Projekte umsetzen können. Das ist eine Forderung, die wir seit Jahren erheben. Seitens der SPD-Fraktion sehen wir für Nürtingen – wie bereits in den letzten Jahren – die folgenden Handlungsfelder:
- Schulsanierungen durchführen und somit für Bildung eine Basis schaffen
- gute Kinderbetreuung gewährleisten
- die sozial-ökologische Wende auch in unserer Stadt angehen
- individuelle Mobilität gewährleisten und neue Akzente setzen
- Wohnen erschwinglich machen
- den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Nürtingen stärken
Die einzelnen Handlungsfelder haben wir hauptsächlich mit nicht
haushaltsrelevanten Anträgen unterlegt.
Bildung / Schulsanierung
Die Schulen der Schulstadt Nürtingen sind größtenteils sanierungsbedürftig. Durch die Zusage der Fördergelder fällt es uns leichter mit den Sanierungen zu beginnen. Auch wollen wir, dass die bereits begonnenen Projekte, wie einen Schulentwicklungsplan und ein Medienentwicklungskonzept zu erstellen, fortgesetzt werden. Für uns ist wichtig, dass Schulleitungen ebenso wie Eltern einbezogen sind.
Kinderbetreuung
Der vorstellte Masterplan zeigt klar, dass bei dieser Pflichtaufgabe noch einige Kinderbetreuungsplätze fehlen. Damit weitere Krippenplätze geschaffen werden können, müssen die bestehenden Kitas erweitert und gleichzeitig saniert werden.
Sozial-ökologische Wende vor Ort angehen!
Die sozial-ökologische Wende erfordert ein zügiges und mutiges Handeln aller – auch der Stadt Nürtingen. Die Achtung vor unserem Lebensraum und sein Erhalt müssen Priorität haben. Der Klimaschutz muss stärker wie bisher als übergeordnetes strategisches Ziel verankert werden, das auf alle städtischen Handlungsfelder Einfluss hat. Im Übrigen: Klimaschutz geht uns alle an. Jeder Einzelne steht in der Pflicht seinen Beitrag dazu zu leisten.
Wir in Nürtingen starten glücklicherweise nicht bei Null. Wir haben bereits einen Klimaschutzmanager eingestellt und ein Klimaschutzkonzept 2013 beschlossen. Jetzt gilt es die einzelnen Maßnahmen konsequenter als bisher umzusetzen.
So sollten z. B. bei anstehenden Sanierungen energetische Maßnahmen
berücksichtigt oder auch eine Photovoltaikanlage installiert werden.
Fachkundige Bürger können in einem Klimaausschuss, der als beratender Ausschuss des Gemeinderates fungiert, wertvolle Impulse geben und zu Diskussionen anregen.
Außerdem wollen wir durch die Gründung einer „Energiegenossenschaft“ – oder einer anderen niedrigschwelligen Beteiligungsmöglichkeit von privatem Kapital – allen Nürtingern die Möglichkeit geben, sich an Projekten zu beteiligen.
Mobilitätswende
Mobilität für alle gehört zur Daseinsvorsorge. Gerade im Verkehrssektor liegt ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Darum wollen wir den ÖPNV mit einem „Stadtticket“ attraktiver und stärker machen. Auch für die Radfahrer und Fußgänger sollten wir mehr tun. Deshalb beantragen wir die Ausweisung eines gesonderten Budgets für den Radverkehr sowie die Einrichtung einer „Rad AG“ als Beteiligungsforum für Experten und BürgerInnen.
Wohnen
Wohnen ist ein Menschenrecht. Und Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Wir brauchen Wohnraum für Alle! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte im Mai 2019:
„Der Wohnungsmarkt ist kein Casino, und das Dach über dem Kopf kein Spielchip! Wenn Mieten deutlich schneller steigen als die Einkommen, wenn Normalbürger sich keine normale Wohnung mehr leisten können, … dann gefährdet das bei vielen das Grundvertrauen in unsere soziale Marktwirtschaft. Dann gerät auch das Vertrauen in die Leistungskompetenz von demokratischer Politik ins Wanken. Das ist der Zusammenhang von Wohnungspolitik und Demokratie, den wir berücksichtigen sollten.“
Wir sind sehr beunruhigt über die zunehmende Anzahl der wohnungslosen Familien. Wohnungslosigkeit wird als Makel gesehen, als Selbstverschulden gesehen. Um den benötigten Wohnraum zu schaffen, ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen notwendig. Neben der Baulandentwicklungsstrategie, einer Sozialbauverpflichtung bei Neubauten sowie der Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft, kann die Initiative leerstehenden Wohnraum wieder zu nutzen, eine vielversprechende Möglichkeit sein. Diese Initiative sollte wieder aufgegriffen werden. Wir sehen auch im Quartiermanagement eine weitere Möglichkeit.
Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken
Die wachsende Kinderarmut ist für unsere reiche Gesellschaft ein unsägliches Zeugnis der sozialen Schieflage. Davor dürfen wir auch in Nürtingen nicht die Augen verschließen, denn „Die Kinder sind die Bürger von morgen.“ Jedes fünfte Kind ist im wirtschaftlich starken Baden-Württemberg von Armut betroffen. Neben bundespolitischen Maßnahmen wie einer Kindergrundsicherung sind auch die lokalen Einrichtungen und Hilfsstrukturen gefragt. Hier wollen wir gemeinsam mit allen Akteuren Lösungsmöglichkeiten entwickeln. U. a. kann auch die Einrichtung
eines Sozialfonds eine Möglichkeit der Unterstützung sein.
Gleichzeitig wollen wir in diesem Zusammenhang auch bestehende Maßnahmen weiterentwickeln. Unser Antrag auf Einführung einer Familiencard soll die Stigmatisierung eines Familienpasses entfallen lassen und für eine Ausdehnung der Unterstützungs- bzw. Rabattmöglichkeiten in privaten Kontexten sorgen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Anlaufstelle für alleinerziehende Frauen, ein niederschwelliges Angebot, über die sie die Hilfe bekommen, die sie für ihre Familien benötigen.
Der demografische Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen treffen auch unsere Stadt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Die Zahl der älteren sowie pflegebedürftigen Bürger nimmt auch in Nürtingen immer weiter zu. Dies erfordert eine andere Infrastruktur und weitere Dienstleistungsangebote. Die Plätze in der Tagespflege sind besonders wichtig, weil dadurch die Familienangehörige eine Entlastung erfahren und auch die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie/Pflege eher ermöglicht werden kann. Dies ist besonders für Frauen wichtig.
Einbindung und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger
Wenn ich diese Herausforderungen sehe, mit denen wir zu Beginn des neuen Jahrzehnts konfrontiert sind, dann weiß ich, dass wir dies nur bewältigen können, wenn wir die Bürger beteiligen – zeitig, auf Augenhöhe, respektvoll. Den Leitfaden dazu haben wir bereits 2013 mit großer Mehrheit verabschiedet. Ein souveräner Gemeinderat – und das sind wir – kann mit den Bürgern seiner Stadt kommunizieren, Entscheidungen diskutieren und Visionen über die Zukunft entwickeln.
Abschließend:
Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit innerhalb des Gemeinderates. Die Haushaltsreden zeigen, dass wir bei vielen Handlungsfeldern übereinstimmen und dass durchaus Kompromisse möglich sind. Ich bedanke mich für die gute Arbeit der MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung. Uns als SPD ist eine gute Zusammenarbeit von Gemeinderat und Stadtverwaltung außerordentlich wichtig. Wir schätzen sehr wohl die Kompetenzen der Mitarbeiter. Trotzdem gehört es auch zu unseren Aufgaben und unserer Verantwortung vorgelegte Daten, Zahlen oder Vorgänge kritisch/konstruktiv zu hinterfragen. Denn nur gemeinsam können wir die bevorstehenden Herausforderungen angehen:
Gemeinderat, Stadtverwaltung und Bürgerinnen und Bürger der Stadt Nürtingen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.