Haushalt 2023
11. Oktober 2022
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Bürkner, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Unser größter ‚Wohlstand‘ liegt in der Fähigkeit, zusammen zu halten.
Als Gesellschaft leben wir fraglos in der herausforderndsten Zeit seit die meisten von uns denken können.
- Da ist die Pandemie, deren Ende immer noch nicht besiegelt ist und die uns schon bisher sehr viel Kraft gekostet hat,
- Da ist der Ukraine-Krieg in Europa, der bisher sicher geglaubte Vorstellungen obsolet gemacht hat.
- Da ist die daraus folgende Energiekrise und ihre sozialen Auswirkungen.
- Und schließlich über Allem: die Klimakrise und die Frage, wie wir unseren Lebensstil so ändern können, dass unser schöner Planet auch noch für unsere Kinder und Enkelkinder bewohnbar bleibt – ohne ihnen untragbare Hypotheken zu überlassen.
Bei all dem stellt sich zwangsläufig die Frage, ob unsere Demokratie und die anderen Demokratien Europas stark genug sind, um gemeinsam Wege aus den Krisen zu finden.
Betrachten wir es ganz nüchtern: Das ganz großen Rad können wir in Nürtingen sicher nicht drehen. Aber wir sind auch nicht hilflos. Wir können durch die Suche nach konstruktiven Lösungen und daran ausgerichteten Entscheidungen einiges in unserer Stadt bewirken. Unser aller materieller Wohlstand wird – zumindest im Durchschnitt – in den nächsten Jahren etwas abnehmen. Aber vielleicht lernen wir so auch, dass unser wirklicher Wohlstand in der Fähigkeit liegt, zusammen zu halten und Probleme gemeinsam zu überwinden. Indem wir uns auf das wirklich Wesentliche und Notwendige konzentrieren. Dass wir das können, haben wir schon in der Vergangenheit bewiesen. Damals waren die Umstände sogar noch wesentlich schlechter.
Nur lassen sich die Muster und Rezepte nicht eins zu eins übernehmen. Aber wir sehen heute klarer, dass wirtschaftlicher Wohlstand hohl wird, wenn wir ihn auf Kosten zukünftiger Generationen oder anderer Regionen unserer Erde bauen.
Nun: Es ist, wie es ist. Das lässt sich nicht bestreiten. Aber es wird, was wir daraus machen.
Schon deshalb dürfen wir nicht alle unsere bisherigen strategischen Ziele für Nürtingen und seine Bürgerinnen und Bürger einfach über Bord werfen. Geduld, Solidarität und Zusammenhalt sind dabei mehr gefragt denn je. Es hilft der Sache nicht, wenn – wie in aktuellen Leserbriefen am Samstag in der NTZ mit fadenscheinigen Argumenten oder mit diskriminierenden öffentlichen Äußerungen von Politikern (Stichwort: „Sozialtourismus“) – Neiddebatten angezettelt und Konkurrenzdenken zu etablieren versucht wird.
Wer sind die Leidtragenden dieser Neiddebatten?
- Die (nicht nur ukrainischen) Flüchtlinge, die unsere Solidarität brauchen, um hier sicher anzukommen und integrieren zu können,
- die „ganz normalen“ Bürgerinnen und Bürger, die jeden Tag brav arbeiten, damit sie über die Runden kommen,
- die Familien, die auf kommunale Unterstützung angewiesen sind, um ihren Alltag überhaupt meistern zu können.
Unsere Gesellschaft muss sich also zusätzlich mit unnötigen Konflikten dieser Art auseinander setzen, obwohl sie ihre ganze Kraft braucht, und die Solidarität, um für die derzeitigen Herausforderungen Lösungen zu finden und diese umzusetzen. Letztendlich leidet auch unserer Demokratie darunter, weil so politischen rechten Kräften der Boden bereitet wird. Die aktuelle Energie-Krise ist nur zu bewältigen, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Das gilt ebenso für die Themen Bildung, Wohnungsnot, Kinderarmut, Flüchtlinge und Klimaschutz.
Haushaltsentwicklung 2022/2023
Das Investitionsprogramm sowie der Ergebnishaushalt sind geprägt durch die folgenden 5 Schwerpunkte, die wir als SPD seit Jahren sehen:
Bildung – Cohen – Klimaschutz und Nachhaltigkeit – Mobilität – Stärkung des sozialen Zusammenhalts.
Alle damit verbundenen strategischen Ziele, ob kurz- oder mittelfristig, gilt es im Auge zu behalten. Sie dürfen nicht einfach aufgrund der derzeitigen haushaltspolitischen Lage über Bord geworfen werden, wie es in den vergangenen Jahren leider bei einer Vielzahl von beschlossenen Projekten passiert ist. Langfristig gesehen wirkt sich dies nur schlecht für die Stadt aus.
Immer wieder wurden uns für Nürtingen in den letzten Jahren millionenhohe Defizite im Ergebnishaushalt prognostiziert oder gar ein höherer Schulden-stand. Das Gegenteil war der Fall. Die Verschuldung liegt Ende 2022 voraussichtlich bei insgesamt „nur“ 5,5 Millionen Euro. Das entspricht einer pro Kopf Verschuldung in Höhe von nur 135 € pro EinwohnerIn, nochmal geringer als 2021.
Klar, müssen wir vorsichtig planen und agieren. Klar ist auch, dass wir unser Geld nur einmal ausgeben können. Aber es ist auch klar, dass es strategisch – also gut durchdacht und geplant – ausgegeben werden sollte. Und in dieser Situation müssen wir als Gemeinderäte zwischen den konkurrierenden Aufgaben und Projekten abzuwägen und entscheiden.
Wie sich die höheren Energiekosten, die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Waren und der Kaufkraftrückgang letztendlich auf die Gewerbeeinnahmen auswirken werden, kann derzeit niemand vorher sagen. Positiv sehen wir allerdings die Anstrengungen für ein verbessertes Haushaltsplanverfahren. Mit den Einsparanstrengungen der Verwaltung bereits zur Einbringung des Haushalts, sowie der Darstellung der anvisierten Projekte bis 2030 sind wichtige Schritte gegangen. Wir halten aber daran fest, dass wir eine strategische Haushaltskonsolidierung für eine mittel- und langfristige Orientierung benötigen und verweisen auf unsere früheren Anträge hierzu.
Für Nürtingen erfreulich: Trotz Allem sind 2022 einige Projekte, die wir als SPD beantragt haben, verwirklicht worden:
- Das Budget, das dem Radmanager zur Verfügung steht, ist besonders in Zeiten, wenn es um Kürzungen in einzelnen Bereichen geht, wichtig,
- die Toilette für Alle wird 2023 endlich verwirklicht,
- der Zuschusstopf für Klimamaßnahmen, aus dem die Zuschüsse für die Förderung der PV-Anlagen fließen, steht,
- die Anerkennung Nürtingens als Fairtrade Town wertet die Stadt auf,
- das Wohnmodell „Tiny Hauses““ wurde aufgegriffen und kann weiter entwickelt werden.
Auf die Weiterführung bzw. Umsetzung warten allerdings noch einige unserer Anträge. Deshalb haben wir diese für das Jahr 2023 wieder gestellt! Darauf werde ich aber noch im Einzelnen eingehen.
Bekämpfen der Wohnungsnot
Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Sie kann nur durch die Umsetzung verschiedener Strategien gelöst werden. Noch immer haben wir in Nürtingen zu wenige Wohnungen, und zwar in allen Preissegmenten. Wir stellen fest, dass der Bedarf an bezahlbaren Wohnraum noch weiter gestiegen ist und der freie Markt dies nicht regeln kann. Besonders für die Familien, Alleinerziehende oder andere Menschen mit geringen Einkommen ist es eine bittere Situation, keine Wohnung in Nürtingen zu finden, die sie bezahlen können. Daher müssen wir als Stadt alles tun, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Um die eklatante Wohnungsnot zu bekämpfen müssen wir auch neue Wege gehen.
Unserer Überzeugung nach kann dies nur durch eine stadteigene Wohnungsbaugesellschaft geschehen. Daher begrüßen wir die Überlegungen klar abgegrenzter Geschäftsfelder bis hin zu einer eigenständigen Wohnungsbaugesellschaft. Außerdem sollten neue Wohnmodelle wie die Hoffnungshäuser oder auch die Überbauung von Parkplätzen in Betracht gezogen werden. Nicht zuletzt sehen wir in der Einführung einer Grundsteuer C in Nürtingen ein wichtiger Hebel, sodass wir die Vorbereitung der Einführung der Grundsteuer C für Nürtingen beantragen.
Klimaschutz – Energiekrise
Um dem Klimawandel wirksam entgegenzuwirken, sind gerade jetzt auch bei uns weitere Klimaschutz-Maßnahmen unerlässlich. Hier darf nichts reduziert oder gar gestrichen werden. Die Kommunen haben eine Vorbildfunktion. Wir sollten bei der Umsetzung der Klimaschutz-Maßnahmen, die insbesondere von „Fridays for Future“ eingebracht worden sind, noch konsequenter und zügiger auf Umsetzung drängen. Ein Baustein könnte das generelle nachhaltige und energieeffiziente Bauen sein. Es würde letztendlich auch den städtischen Haushalt entlasten.
So sollten nach unserer Überzeugung der Ausbau der PV-Anlagen gefördert werden, z. B. durch die Änderung der Altstadtsatzung, durch die Nutzung der städtischen Parkplätze für die Errichtung von PV-Anlagen sowie der Gründung einer Energiegenossenschaft. Ziel sollte die Weiterentwicklung Nürtingens zu einer energie-autonomen Stadt sein. Außerdem sollten wir den Ausbau zur Fahrradstadt Nürtingen vorantreiben.
Besonders diesen Sommer haben wir die Folgen des Klimawandels verstärkt zu spüren bekommen. Deshalb haben wir die Erstellung eines Hitze-Aktionsplans beantragt, mit dem in anderen Städten bereits begonnen wurde.
Familie – Kinderbetreuung – Soziales
Der Alltag der Familie – wie ich bereits erwähnt habe – ist durch viele verschiedene Faktoren geprägt. Der Bedarf an Kinder-Betreuungsplätzen ist enorm. Gleichzeitig müssen wir alles tun, um den Mangel an ErzieherInnen zu beheben. Es reicht eben nicht aus, nur Plätze zu schaffen, sondern es muss auch ein verlässliches Angebot vorhanden sein, damit Familien, insbesondere die Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit leben können. Dazu gehört auch der Ausbau der Ganztages-Betreuung an den Grundschulen.
Aber wenn wir an die Familien denken, dann dürfen wir nicht die Kinderarmut, die es leider auch in Nürtingen gibt, außer Acht lassen. Durch das Projekt
„Präventions-Netzwerk gegen Kinderarmut und für Kindergesundheit in Nürtingen“ sind Handlungsmaßnahmen erarbeitet worden. Diese gilt es jetzt umzusetzen. Hilfreich wären die Familien-Card und ein Sozialfonds für finanziell bedürftige Familien.
Die Corona-Pandemie hat uns allen gezeigt, wie wichtig die Nachbarschaft, wie wichtig das Quartier ist in dem man lebt. Daher sollte unbedingt die Quartiersentwicklung fortgesetzt werden. Wenn wir die Vielfalt der Themen und Projekte, die wir für das Jahr 2023 zusammengetragen haben und die alle bewältigt werden sollten, betrachten, so kommen wir zur Überzeugung, dass dies nur gemeinsam geschehen kann. Wir als Gemeinderat, als Stadtverwaltung und als Stadtgesellschaft sind gefordert. Dazu müssen wir Alle an einem Strang ziehen!
Wir werden angesichts der Energiekrise im kommenden Winter massiv gefordert werden. Deshalb stellen sich für uns als SPD-Fraktion die Fragen:
- Was können wir als Kommune tun?
- Was können wir den Bürgerinnen und Bürgern in Notsituationen anbieten?
- Welche Pläne sind seitens der Stadtverwaltung bereits entwickelt worden?
Es geht uns hier nicht um Panikmache. Sondern wir sollten den Menschen in unsere Stadt signalisieren: Wir haben vorgedacht. Wir haben vorgesorgt. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Stadtverwaltung in absehbarer Zeit darüber Substantielles berichten würde.
Es ist, wie es ist: Aber es wird, was wir daraus machen.
Alles in Allem und trotz der großen Herausforderungen meinen wir, dass wir gemeinsam die Möglichkeiten, die Kraft und die Ressourcen haben, letztendlich vielleicht sogar zukunftsfähiger aus dieser schwierigen Zeit herauszukommen.
Es liegt an uns, was wir daraus machen.
Wir haben – auch unter uns – weiter viele starke Schultern, für eine aus unserer
Sicht mehr als notwendige sozial-ökologische Transformation, wenn nicht
Revolution.
Schließlich liegt unser größter „Wohlstand“ in der Fähigkeit, zusammen zu halten.
Abschließend:
Wir von der SPD-Fraktion bedanken uns für die gute Zusammenarbeit innerhalb des Gemeinderats sowie für die gute Zusammenarbeit von Gemeinderat und den Mitarbeitern und den Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung.
Bild: colourbox