NÜRTINGEN. (we) Wie kann Schule im Jahr 2020 aussehen? Wie soll sich die Schullandschaft Nürtingens bis dahin entwicklen? Um diese Fragen drehte sich die gut besuchte „Zukunftswerkstatt Bildung“. Es war die dritte Veranstaltung der Reihe „Bürger/innen machen Schule“, zu der die Nürtinger SPD eingeladen hatte.
„Gute Bildung ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung“, stellte die SPD-Vorsitzende Bärbel Kehl-Maurer gleich zu Anfang klar. Daraus leitete sie ab, jeder Jugendliche müsse zu dem für ihn „bestmöglichen Bildungsabschluss“ geführt werden. Aus der Kennzeichnung Nürtingens als „Schulstadt“ erwachse die Verpflichtung, auf die neuen Herausforderungen schulpolitisch zu reagieren.
Annette Bürkner, neue Leiterin des Amtes für Bildung, Soziales und Familie in Nürtingen, unterlegte diese Herausforderungen mit Zahlen: Waren es 2005 noch 624 Kinder, die die Haupt- bzw. Werkrealschulen in Nürtingen besuchten, sind es in diesem Schuljahr nur noch 279. Zum einen liegt dies am Rückgang der Kinderzahlen, zum anderen am veränderten Schulwahlverhalten der Eltern. Außerdem gingen 30 Schülerinnen und Schüler nicht mehr in Nürtingen zur Schule, sondern wählten die Gemeinschaftsschulen in Wendlingen bzw. Frickenhausen. Dieser Entwicklung könne man nicht tatenlos zuschauen.
Irene Armbruster, Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Stuttgart, moderierte die Zukunftswerkstatt. Als Experten fungierten Hannes König (für die Ganztagsschule) sowie Barbara Andreas, Schulleiterin der Bodelschwingh-Schule. Im ersten Block beschäftigten sich die Teilnehmer mit einer Vision: Wie könnte „Schule“ im Jahr 2020 aussehen. Neben vielen Einzelheiten sollten stärkere Individualisierung des Lernens, soziale Kompetenzen (z.B. beim gemeinsamen Mittagessen) sowie eine Rhythmisierung des Tagesablaufs in der Ganztagsschule im Vordergrund stehen.
Entsprechend sollte die Ausstattung der Schulen diesen Forderungen angepasst werden: nötig sei mehr pädagogisches Personal und mehr Fachkräfte, flexible Raumgestaltung und freundliche Farben sollten eine „Wohlfühlatmosphäre“ schaffen, und modernste Technik sollte selbstverständlich sein. Auch wurde gewünscht, dass die Schulen sich untereinander stärker austauschen, dass die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, mit Vereinen und Institutionen intensiviert wird. Stärkere Schüler sollten „Patenschaften“ für schwächere Schüler übernehmen.
Nach der Kaffeepause wurden aktuelle Problemfelder in vier Arbeitsgruppen diskutiert. Mit dem Thema „Inklusion“ wurde der „sonderpädagogische Förderbedarf“ (Barbara Andreas) angesprochen. Wichtig und gesellschaftlich wertvoll sei die soziale Interaktion zwischen Kindern mit und ohne Behinderung. Natürlich müsse der Schulalltag entsprechend strukturiert sein. Auch gelte immer das „Zwei-Pädagogen-Prinzip“: In einer Klasse mit Inklusion stünden stets ein Fachlehrer sowie ein Sonderpädagoge bereit.
Zum Thema „Migration und Integration“ kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass mehr gemeinsame Aktionen mit den Eltern zu unterrichtsrelevanten Inhalten organisiert werden müssten. Auch müssten die Eltern mit Migrationshintergrund stärker in das deutsche Schulsystem eingebunden und der Umgang mit anderen Religionen und Kulturen gelernt werden.
Die Gruppe „Ganztagsschule“ sah in dieser Schulform eine Voraussetzung für eine bestmögliche Betreuung der Schüler, z.B. bei Übungsphasen und Lernzeiten; ferner fördere sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wesentliches Merkmal sei die Eigenverantwortlichkeit der Schüler. Diese und deren Eltern müssten mehr ins Schulleben einbezogen werden. Die Gruppe „Gemeinschaftsschule“ formulierte Leitbegriffe wie „individualisiertes Lernen“, „Förderung“ oder „Rhythmisierung“ und diskutierte, wie diese neue Schulform in Nürtingen eingeführt werden könnte. Die Stadtverwaltung müsse ein Signal geben, und ausführliche Informationsveranstaltungen für Lehrer und Eltern sollten folgen. Dann könne einerseits der Gemeinderat zu einer fundierten Entscheidung kommen, andererseits eine Elternbefragung den Weg weisen.
Von der Moderatorin nach den Wünschen an die Politik befragt, waren sich die vier Gruppen in der Tendenz einig. Das Dilemma der „Einzementierung“ in ein bestimmtes ideologisches Lager solle aufgelöst werden, „Auflösung der Konfrontation durch Information“ formulierte eine Gruppe. Alle an der Schule Beteiligten müssten in der Diskussion um die beste Schulform „mitgenommen“ werden. Klar wurde auch gesagt, dass Nürtingen in der schulpolitischen Landschaft nicht den Anschluss verlieren dürfe. Dazu diene auch diese Veranstaltungsreihe, so Bärbel Kehl-Maurer abschließend, sie habe sich „um unserer Kinder und um Nürtingen willen gelohnt“. Die Ergebnisse, versicherte sie, würden in die von der SPD angeregte und vom Gemeinderat bereits beschlossene Arbeitsgruppe einfließen, die sich im Mai mit der weiteren Entwicklung der Schulpolitik in Nürtingen beschäftigt.