Eine selbstbewusste und lebenskluge Frau –

Nürtinger Frauenrat und SPD würdigten die erste Gemeinderätin in Nürtingen –

Plötzlich stand sie lebendig vor einem: Paula Planck, im dezenten blau-weiß gestreiften langen Kleid mit leichtem Rüschenbeatz. Strenge Frisur, aufrechte Haltung. Melanie Walz vom Naturtheater Grötzingen spielte die erste Frau im Nürtinger Gemeinderat bravourös.

Aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums  luden der Nürtinger Frauenrat zusammen mit der SPD zu einem Gedenkabend in die Stadthalle ein. Am 25. Mai 1919 war die engagierte Sozialdemokratin als erste Frau in den Nürtinger Gemeinderat gewählt worden – das ebenfalls genau hundert Jahre alte Frauenwahlrecht hatte es ermöglicht.

Oberbürgermeister Heirich stellte die Bedeutung des Frauenwahlrechts heraus und forderte auf, sich für die Demokratie und ihre Grundsätze einzusetzen. Zuvor hatte Beate Haussman für den Frauenrat die Anwesenden begrüßt.

In einer szenischen Collage wurde Paula Plancks Denken und Handeln erfahrbar gemacht, die von Wolfgang Wetzel, ausgearbeitet worden ist. Dafür bildeten Originaldokumenten. Gemeinderatsprotokolle, Zeitungsberichte sowie Briefe, die Paula Planck geschrieben hatte, die Textgrundlagen. Melanie Walz hatte sich gut vorbereitet, denn es war nicht einfach, die damalige Diktion, Schachtelsätze, ungewohnte Wendungen, ausdrucksvoll nachzusprechen. Aber indem sie das tat, entstand das Bild einer  selbstbewussten, lebensklugen Frau, die sich in die  „proletarische Denkweise“ gut einfühlen konnte.

Gerade als Gemeinderätin sah sie ihre Aufgabe darin, ärmeren Leuten – und von denen gab es viele in Nürtingen – zu helfen ihren Alltag zu meistern. Menschlichkeit und Gerechtigkeit waren für die Sozialdemokratin Grundpfeiler des Zusammenlebens, und sie versuchte, wo immer sie konnte, diese beiden Grundüberzeugen durchzusetzen. Nicht immer, das machten die Szenen deutlich, fand sie dabei eine Mehrheit im männerdominierten Gemeinderat. Lediglich in dem Kommunisten Karl Fausel (der übrigens bei der Wahl 1919 Stimmenkönig wurde!), fand sie einen Mitstreiter. Allerdings machte vor allem die letzte Szene auch klar, dass sie sich von dessen kommunistischer Ideologie klar distanzierte; von der sogenannten „klassenlosen Gesellschaft“ hielt sie nichts.

Für Oberbürgermeister Heirich ist es heute nicht nur selbstverständlich, dass Frauen in politischen Gremien mitentscheiden. Er findet es auch wichtig, dass der spezifische weibliche Blick auf die Sachverhalte hilft, zu guten und allgemein anerkannten Lösungen zu finden. Deshalb warb er auch ausdrücklich dafür, bei den bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen Frauen zu wählen. Und er wies darauf hin, dass dieses Recht, vor hundert Jahren eingeführt, damals hart erkämpft worden war und deshalb immer wieder bestärkt werden muss.

Einen Ausblick auf die Zeit nach 1933 gab Bärbel Kehl-Maurer. Nachdem Paula Planck wieder aus dem Konzentrationslager entlassen wurde, schwieg sie zumindest öffentlich; wenn sie konnte, half sie dennoch bedrohten Menschen. Nach dem Krieg wirkte sie mit, die Nürtinger SPD mit aufzubauen, und wurde wieder in den Gemeinderat gewählt. Sie gehörte verschiedenen Ausschüssen an, wie der Kommission zur „Feststellung von leeren Räumen“ in der Stadt, dem Ortsausschuss für Flüchtlingsangelegenheiten und dem Fürsorgeausschuss. Die brennendsten Probleme waren damals die Schaffung von Wohnraum sowie die Versorgung und Integration der Flüchtlinge nach 1945. Gut 70 Jahre später sind das die aktuellen Probleme, mit denen wir uns heute wieder auseinandersetzen müssen. Sie starb am 25. August 1953 in Nürtingen, 74 Jahre alt. Eine Krebserkrankung hatte ihr Engagement für die Kommunalpolitik schon 1951 beendet.