OB Dr. Johannes Friedrich

Für alle die es verpasst haben oder die nochmals nachlesen wollen hier die Laudatio von OB Dr. Johannes Friedrich im Wortlaut:




Lieber Dieter Braunmüller, lieber Fritz Eisele, liebe Bärbel Kehl-Maurer, liebe Eierkommission, liebe Nürtinger SPD, liebe Stadträtinnen und Stadträte, sehr geehrte Festgäste,

Entree

Als mich in Soroksar auf dem Höhepunkt der „Wasen-Diskussion“ um das alte Psychiatriegelände die Nachricht erreichte, es sei geplant, Dieter Braunmüller und Fritz Eisele stellvertretend für die Bürgerinitiative „Nürtingen am Neckar“ mit dem „Ei der Heckschnärre“ auszuzeichnen, habe ich spontan meine Bereitschaft signalisiert, die Laudatio zu halten – ehrlich gesagt, ich wurde gar nicht gefragt, ich habe es einfach angeboten.

Manch einer dachten vielleicht: „Ist er jetzt übergeschnappt? – das sind doch die Gegner“ andere vermuteten darin einen perfiden Trick eines Juristen, aus einer Laudatio eine Anklageschrift zu basteln.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich kann ihnen versichern, es gibt nur einen einzigen Grund dafür:

Die Bürgerinitiative und die beiden Preisträger haben diese Auszeichnung verdient!

Gut, – Sie sehen es mir nach – für den „Oskar in Diplomatie“ würde ich Sie, lieber Herr Braunmüller, lieber Herr Eisele, nicht vorschlagen.

Aber wir sind hier Gott sei Dank nicht in Hollywood, sondern in der Kreuzkirche in Nürtingen.

Meine Behauptung, die ich noch im Folgenden beweisen werden ist:

Das zu verleihende „Ei der Heckschnärre“ passt auf unsere diesjährigen Preisträger wie sprichwörtlich „die Faust aufs Auge“ oder „wie das Ei zur Henne“. Würde es diesen Preis nicht geben, müssten, wir ihn für Sie geradezu erfinden.

Um diesen Beweis führen zu können, müssen zunächst die Voraussetzungen geklärt werden. Ich bin in Sachen Heckschnärre ja um in der Vogelsprache zu bleiben noch ein Grünschnabel und musste mich erst schlau machen.

Wen oder was zeichnet die Eierfindungskommission aus?

In den Statuten (Heckschnärrenbuch S. 19, geschrieben von Mitautor Reinmar Wipper) heißt es: Die Würdigkeit ist ausschließlich nach der Übereinstimmung des Kandidatenprofils mit dem Nürtinger Vogel zu bemessen, nicht (ich zitiere) „nach gesellschaftlichen, taktischem, modischen oder politischen Trends. Es geht ausschließlich um das „hochaufgerichtete Verteidigen“ und ums „Schärren und Schnärren“. (Zitat Ende)

Was heißt Schärren? Schärren bedeutet unnachgibig kratzen, reiben, wischen und grubeln, so lange, bis der gewünschte Effekt eingetreten ist.

Schnärren bedeutet nicht nur sei „Gosch aufmachen“ sondern (ich zitiere) „dies so zu tun, dass man den Leuten damit auf die Nerven geht, beharrlich und auch vorlaut und aufsässig, wenn‘s sein muss“ (Zitat Ende).

Damit ergeben sich im Wesentlichen drei Voraussetzungen für die Preisträger:

1. Das „Wo und Was“: Ein Nürtinger Revier muss verteidigt werden

2. Das „Wie“: Aufrecht durch Schärren und Schnärren

3. Das Wielange: Bis der gewünschte Effekt eingetreten ist Nun müssen wir die Voraussetzungen mit unseren diesjährigen Preisträgern abgleichen – die zu würdigenden Personen und deren Handlungen unter die erforderlichen Voraussetzungen legen – der Jurist sagt dazu subsumieren – um zu schauen, ob wir eine Übereinstimmung haben. Das ist wieder ganz mein Metier:

1.) Nehmen wir zunächst die Bürgerinitiative „Nürtingen am Neckar“ in den Blick:

Die Bürgerinitiative, die sich ab Mitte 2017 formiert hat, richtete sich gegen die Pläne, am wesentlichen Neckarufer durch einen Investor ein Hotel zu errichten.

– Damit ist Punkt eins erfüllt:

Ein Nürtinger Revier sollte verteidigt werden

– Dies geschah auch zweifelsohne durch „schärren“ und „schnärren“:

26 Markstände auf dem Wochenmarkt wurden durchgeführt, 10 Infoständen in den Ortschaften organisiert, 4.701 Unterschriften gesammelt, insgesamt waren 150 Arbeitssitzungen notwendig, 8 Leitzordner wurden mit Material befüllt, unzählige Arbeitsstunden wurden eingesetzt, Kosten von 10.000 Euro mussten getragen werden.

Man hat ohne Frage unnachgiebig gerieben und gekratzt, und auch beharrlich die „Gosch aufgemacht“. Als letzte Voraussetzung des Schärrens und des Schnärrens habe ich auch einen Stadtrat ausfindig gemacht, der mir glaubhaft versicherte, ihm sei dies auch gehörig auf die Nerven gegangen. Die 2. Voraussetzung ist erfüllt.

Und der dritte Punkt: Der gewünschte Erfolg der Bürgerinitiative ist auch eingetreten, der Verkaufsbeschluss wurde wieder aufgehoben und das Projekt ist auf Eis gelegt.

Damit sind alle drei Voraussetzungen des Preises durch die Bürgerinitiative erfüllt – Die Bürgerintiative macht der Heckschnärre, die ja vom Rathaus zum Neckar schaut, alle Ehre!

2.) Nun lassen Sie uns ein Blick auf die beiden Preisträger Dieter Braunmüller und Fritz Eisele werfen:

Dieter Braunmüller

ist Nürtinger durch und durch. Sein Revier war schon immer das Stadtzentrum. Im Kindergarten in der Mörikeschule, dann Schlossbergschule und in der Oberschule. Er sagt selbst, es gab keinen Ort, keine Haustürklingel, die er nicht kannte – das hat sich bis heute nicht geändert. Fußballspielen im Semihöfle, rumtollen auf dem Galgenberg, erkundigen des Saubachs. Aktiv war Dieter Braunmüller auch bei den christlichen Pfadfindern. Nach dem Abi ging´s zu Heller, Hochzeit im Sommer of 69 mit seiner großen Liebe Biggi, vier – tief in Nürtinger – verwurzelte – Kinder, Mitglied in vielen Vereinen und Organisationen, etwa bei der TG Nürtingen oder im Krankenpflegeverein. Er ist Gründungsmitglied der Turmwächtergruppe der Stadtkirche.

Und er widmet sein Leben der Kommunalpolitik. Vielleicht liegt seine Affinität zum Rathaus und zur Stadt auch darin begründet, dass sein Vater in den 30er Jahren in einer Dachgaube im Rathaus wohnte. 1978 war Dieter Braunmüller Gründungsmitglied der Bürgeraktion Innenstadt und Stadtentwicklung e.V. (BAIS), 23 Jahre war er im Gemeinderat und er ist Mitglied von Bündis90/die Grünen.

Viele Sträuße hat er ausgefochten – immer mit dem Ziel, sein Nürtingen zu schützen: Europaparkhauszufahrt, Kreuzkirchpark, Erhalt der Seitenempore in der Kreuzkirche, Bürgerentscheid zum Atombunker, Filialschließung der Kreisparkasse, Großer Forst, Forum Wörth und nun das sog. „Hotel am Neckar“ um nur einige Stichwort zu nennen.

Fritz Eisele

Unsere Preisträger kennen sich schon seit der Jugendzeit. Fritz Eiseles Revier war schon immer der Neckar. Dies wurde ihm quasi schon in die Wiege gelegt, er wurde im Sommer 1944 im Krankenhaus Nürtingen am Wasen geboren. Aufgewachsen in der Alleenstraße – nur einen Steinwurf vom Neckar entfernt. Er hat im Neckar schwimmen gelernt, die Einmündung zur Steinach war sein bevorzugter Spielbereich, die jetzige Fischtreppe der Abenteuerspielplatz. Man kann gut nachvollziehen, dass die Entwicklung am Neckar für ihn eine echte Herzensangelegenheit ist.

Auch er ist waschechter Nürtinger, Kindergarten und Schule – Max-Planck Gymnasium – in Nürtingen, Handballspieler und Vereinsmitglied der TG seit Jugendtagen –bereits vor 55 Jahren war er mit der Handballmannschaft in Oullin als Botschafter von Nürtingen zur Förderung der Städtepartnerschaft. Seine Ehefrau Siegrun hat er – zwar nicht im Neckar –aber im Nürtinger Freibad kennengelernt und 1970 geheiratet. Er ist ein Familienmensch und hat drei Enkelkinder. Wenn ich richtig gerechnet habe, gibt es dieses Jahr noch eine Feier – die goldene Hochzeit.

Auch Fritz Eisele ist seit geraumer Zeit in der Kommunalpolitik aktiv, als engagierter Bürger war er am Bürgerworkshop des Stadtentwicklungskonzepts ISEK 2025 und dort insbesondere bei den Projekten „Nürtingen am Neckar“ und „Westlicher Neckar“ beteiligt. Dort kreuzten sich auch erneut die Wege mit Dieter Braunmüller und beide merkten sofort, dass Sie die gleiche Wellenlänge haben.

Ich glaube – wer die beiden kennt – weiß, dass Ihre Schärr- und Schnärrbilanz sich absolut sehen lassen kann und ihresgleichen sucht. Man kann sagen, diese ist gerichts- und stadtbekannt, so dass darüber heute nicht Beweis erhoben werden muss. Ich möchte daher den Blick auf die vielleicht unbekanntere, sensiblere Seiten des Eies der Heckschnärre richten, die eher zu den ungeschriebenen Voraussetzungen des Preises zählt.

Man kann sicherlich in der Sache und ab und zu auch über die Wahl der Mittel bei der Bürgerinitiative trefflich streiten. Auch ich bin bei dem ein oder anderen Punkt – es ist vielleicht schon aufgefallen – anderer Ansicht – was ja ganz normal ist in der Demokratie. Aber bei einem gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel und dafür stehen Dieter Braunmüller und Fritz Eisele – stellvertretend für die gesamte Bürgerinitiative:

Sie machen dieses bürgerliche Engagement, das viel Zeit, Nerven und auch Geld kostet, nicht aus Eigeninteresse, sondern nur aus einem einzigen Grund: weil Ihnen die Zukunft von Nürtingen am Herzen liegt und dafür gebührt Ihnen unser aller Respekt.

Dazu kommt noch der Humor, auch ein weicher Faktor für die Eierträger. Ziel waren dabei öfters die Obs: Als vor Jahren die Amtskette des OB in der Partnerstadt Oullin vorübergehend verloren ging, sorgte Herr Braunmüller und die BAIS (die Vorgängerin der BI) am Fastnachtsdienstag 1981 für Ersatz, in dem man Herrn OB Bachofer bei einer Feierstunde auf dem Marktplatz eine neu gebastelte Amtskette inklusive eingearbeiteter Sparbüchse überreichte.

Als Dieter Braunmüller 1978 beim MPG-Ball ein Fahrrad gewann, nahm er flux den damaligen OB Gonser auf dem Gepäckträger mit – die Nürtinger Zeitung titelte im Hinblick auf die BAIS.

„Ein Baiser gewinnt das Fahrrad“.

Ich bin froh, dass heute Aschermittwoch ist – da fühle ich mich vor weiteren Späßen einigermaßen sicher.

Beeindruckend ist übrigens auch das Archiv, das sich im Hause Braunmüller befindet. 50 Jahre Stadtgeschichte werden dort lebendig.

Die zeitraubende, akribische Arbeit für die Bürgerintiative wäre nicht möglich, wenn nicht Frauen an der Seite unserer Preisträger stünden, die Ihre Männer die Rücken freihielten. Ein Teil des Ei`s geht daher heute sicherlich auch an Brigitte Braunmüller und Sigrun Eissele.

Fazit: Die Bürgerinitiative und ihre Repräsentanten haben das Ei der Heckschnärre voll und ganz verdient.

Inhalt

Nun habe ich es geschafft, dreiviertel meiner Laudatio zu halten, ohne dass es aufgefallen ist, dass ich mich inhaltlich überhaupt nicht zum sog. „Hotel am Neckar“ positioniert habe. Das mache ich aber gerne: Wie schon im Wahlkampf gesagt ist und bleibt meine Richtschnur „Was bringt ein Projekt den Nürtinger Bügerinnen und Bürgern“. Ich persönlich war noch nie in einem Businesshotel in meiner eigenen Stadt – wobei mir tatsächlich einen Bedarf an Hotels haben – dies muss aber nicht zwingend am Neckar sein. Auch ist Hotel nicht gleich Hotel – ein Fahrradhotel mit Biergarten könnte zum Beispiel durchaus eine Belebung und ein Gewinn sein. Dass der Parkplatz am westlichen Neckarufer ohne Schutz vor der B313 derzeit keine große Aufenthaltsqualität bietet, dürfte Konsens sein. Ebenso möchte ich aber auch, dass der Uferbereich direkt am Neckar der Bevölkerung als Aufenthaltsfläche – in welcher Form auch immer – zur Verfügung steht.

Die Bürgerinitiative ist ja auch nicht grundsätzliche gegen eine Bebauung am westlichen Neckarufer ist. Es geht ihr in erster Linie um die Art und Weise, der Transparenz von Entscheidungen und der Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass wir den Neckar als Ganzes betrachten – auch vor dem Hintergrund der möglichen Landesgartenschau.

Das machen wir nun zunächst intern in unserem Hauprogan Gemeinderat am 24. März bei der „Sondersitzung Neckar“. Da möchten wir den Neckar von Zizishausen bis Neckarhausen in den Blick nehmen. Welche Teile des Ufers sollen der Natur überlassen werden, wo kann die Aufenthaltsqualität und Zugänglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger verbessert werden, wie sind die Optionen beim Wörth-Areal und dem westlichen Neckarufer?

Natürlich werden wir dann auch die Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen. Bei der Bürgerbeteiligung ist es immer wichtig, dass auch klar wird, wo ein Gestaltungsspielraum besteht und wo es gesetzliche Rahmenbedingungen gibt, wie Umweltschutzvorschriften, die diese einschränken. Seit 2013 schlummert ja auch das Bürgerbeteiligungskonzept in der Schublade – dies möchte ich gern aus der Versenkung holen.

Am Ende müssen wir alle noch selbstkritisch sein. Alle Eierbrüter seit Jürgen Germann 1984 waren nicht erfolgreich. Nichts wurde ausgebrütet. Die Heckschnärre auf dem Rathaus blieb das einzige Exemplar in Nürtingen. Wir müssen also, was die Brüterqualität angeht einen neuen Weg einschlagen und schonungslos fragen, woran es lag.

Die Heckschnärre ist ja bekanntlich vor allem in Lebensräumen mit Hochwässern und Sumpfgebieten verbreitet. Bezüglich des Hochwasserkriteriums wäre also Nürtingen gar nicht so verkehrt. Ob allerdings der Bau eines Staudamms im Tiefenbachtal der richtige Weg ist, um durch einen künstlichen Stausee die Heckschnärre wieder anzusiedeln, mag ich derzeit nicht zu beurteilen. Ich möchte heute einen anderen Weg vorschlagen. Bisher gingen wir davon aus, dass sich die Umgebung wieder der Heckschnärre anpassen muss, vielleicht muss aber – um zu überleben – die Heckschnärre sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Idee kam mir, als ich eine Dokumentation über den Pelikan, das Wappentier der griechischen Insel Mykonos sah. Drei Pelikane leben mittlerweile dort in der belebten Innenstadt in den Läden und fühlen sich ersichtlich wohl. Wäre das in der Altstadt etwa mit einer Heckschnärre möglich?

Viel dringender als die Heckschnärre unsere Altstadt als neuen Lebensraum, braucht unsere Altstadt aber aufrechte Heckschnärrinnen und Heckschnärren, die dieses Revier verteidigen!

Denn unserere wunderschöne Altstadt ist von vielen Seiten in Gefahr. Ihr droht möglicherweise das gleiche Schicksal wie der ausgestorbenen Heckschnärre. Läden machen zu, es fehlt an Frequenz, die Altstadt ist schlecht beschildert und nicht barrierefrei zugänglich. Nutzungen sind auf dem Vormarsch, die keinen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger haben. Ich möchte daher heute einen lauten Heckschnärren-Wachruf-Ruf loslassen:

Terrp-rerrp (ähnlich, wie wenn man mit dem Daumennagel über die groben Zähne eines Kammes streicht)

Wir brauchen wieder mehr Mehldorns mit Weitsicht. Wir brauchen erfolgreiche Brüter. Ich fände es toll, wenn sich ein Freundeskreis Altstadt bildet und aufrecht unser Schatzkästle veteidigt – dies war übrigens der Ausgangspunkt der Heckschnärrenbewegung:

Ich zitiere Seite 11: „Am Anfang der 80er Jahre dachten wir in der Nürtinger SPD darüber nach, wie Bürger der Stadt mehr Unterstützung bei ihren Bemühungen für unsere Stadt, namentlich für die Erhaltung der Altstadt bekommen, können“.

Ich weiß, dass heute viele engagierte Bürgerinnen und Bürger hier zusammen sind. Ich habe die Hoffnung, dass einige sich finden, um einen „Freundeskreis Altstadt“ zu gründen und den Fortbestand der Altstadt in die Hand nehmen. Ich würde persönlich auch sofort Mitglied werden und wir werden auch von Seiten der Stadt nichts unversucht lassen, um dieses Revier erfolgreich zu verteidigen. Es wäre ein Jammer, wenn dies nicht im Team mit vereinten Kräften nachhaltig gelänge.